Zweifel über die Zustellung
Wer vom Gericht ein Schriftstück bekommt, soll dies nicht einfach zur Seite legen. Dies insbesondere dann nicht, wenn es sich um einen bedingten Zahlungsbefehl handelt. Hiergegen hätte der Empfänger binnen 4 Wochen ab Zustellung Einspruch zu erheben. Ansonsten hat der Kläger die Möglichkeit, mit dem Zahlungsbefehl seine Forderung im Exekutionsweg durchzusetzen.
Die Frage, ob und wann die Zustellung eines Zahlungsbefehls erfolgte – sprich ob jemand diesen „bekommen“ hat – ist dadurch gelegentlich eine sehr wichtige.
Dies war auch der Fall bei einer Tiroler GbmH. Ein Mitarbeiter der GmbH soll hier im Sommer 2020 einen Zahlungsbefehl entgegengenommen haben. Jedenfalls war auf dem vom Postbeamten ausgefüllten Rückschein eine Unterschrift vorhanden. Die Zustellung war damit erfolgt. Ein Einspruch gegen den Zahlungsbefehl unterblieb, sodass der Kläger ein Exekutionsverfahren einleitete. Dies nach Erhalt einer sogenannten Vollstreckbarkeitsbestätigung, die hierfür notwendig ist.
Hiervon erfuhr die GmbH offensichtlich erst, als ihr im September 2020 die Exekutionsbewilligung zugestellt wurde. Wenig erfreulich, denn der Zahlungsbefehl betraf eine Forderung in Höhe von fast EUR 22.000. Die GmbH wehrte sich daher und machte zusammenfassend geltend, dass die auf dem Rückschein ersichtliche Unterschrift weder von ihren Geschäftsführern noch von einem sonstigen Mitarbeiter stamme. Jedenfalls sollte sie nicht von jenem Mitarbeiter, der am besagten Tag als einziger im Büro war, gesetzt sein.
Damit konnte sie offenbar das hier erkennende Landesgericht Innsbruck überzeugen. Nach der Vernehmung des Mitarbeiters der GmbH und zweier Postbeamten hob es die Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls wieder auf. Klar war nur, dass eine Zustellung am 14.07.2020 erfolgt war. Von wem die Unterschrift nun stammte, blieb für das Gericht aber undeutlich. Nachdem nicht feststellbar war, an wen die Zustellung konkret erfolgt war, konnte nicht davon ausgegangen werden, dass der Zahlungsbefehl tatsächlich an eine annahmeberechtigte Person zugestellt wurde.
Der Kläger gab sich damit nicht zufrieden; das Verfahren führte letztendlich zum OGH. Dieser bestätigte jedoch die Argumentation des Landesgerichtes Innsbruck:
Zustellnachweise, wie hier auch der unterfertigte Rückschein, sind öffentliche Urkunden. Solche Urkunden haben gemäß § 292 ZPO grundsätzlich volle Beweiskraft, jedoch kann auch deren Unrichtigkeit bewiesen werden. Das Gericht hat hier selbst die gesetzmäßige (dh ordnungsgemäße) Zustellung zu überprüfen. Bleibt nach Überprüfung des Zustellvorgangs Unklarheit, die auch nicht im Wege der Beweiswürdigung geklärt werden kann (sprich: Es ist dem Richter nicht möglich, aufgrund der vorhandenen Ergebnisse von einem gewissen Sachverhalt auszugehen), so kann im Zweifel keine wirksame Zustellung angenommen werden.
Mit anderen Worten haben verbleibende Zweifel an der Rechtswirksamkeit „zu Lasten der Behörde“ zu gehen. Diejenige, die sich darauf beruft, dass eine wirksame Zustellung an sie nicht erfolgt ist, muss nicht zusätzlich noch beweisen, dass der Postbeamte die Zustellung falsch vermerkt hatte.
Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass man sich Verfahren mit der Behauptung, einen Rückschein nicht unterfertigt zu haben, einfach „entziehen“ kann – selbst nicht nur vorübergehend. Vielmehr wird es Sache des Richters sein, sämtliche diesbezügliche Behauptungen zu prüfen und zu würdigen.
Erörterte Entscheidung: OGH vom 27.05.2021, 4 Ob 90/21w.